Tag 49, COTELAS, 0 km


Weil es heute fast dauerhaft regnet, meine Regenkleidung leider nicht perfekt ist (ich hätte meine Skandinavien-Ausrüstung mitnehmen sollen), und ab morgen Sonnenschein angekündigt ist, lege ich heute eine Wanderpause ein.

Stattdessen will ich mich heute endlich über den JAKOBUS-KULT auslassen, was ich in den letzten Wochen darüber gelesen habe, worüber ich mich mit anderen Pilgern auf dem Camino ausgetauscht habe und was mir so durch den Kopf gegangen ist.

Jakobus-Statue an der Kirche von Santa Marta de Tera

Jakobus und sein Bruder Johannes, beides Söhne des Zebedäus, gehörten zu den ersten Jüngern von Jesus. Nach dessen Tod soll Jakobus angeblich auf der iberischen Halbinsel gepredigt haben (was historisch aber nicht belegt werden kann). Zwischen 41 und 44 n.Chr. kehrte er nach Judäa zurück und wurde auf Befehl des Königs Herodes geköpft. Nach römischer Rechtsprechung durften Hingerichtete nicht auf offiziellen Begräbnisstätten bestattet werden. Den Brauch, den Leichnam in ein Boot zu legen und dieses der Flut zu überlassen, hat es damals tatsächlich gegeben.

Soviel zu den Fakten.

Der Legende nach soll das Boot – voll mit Muscheln bedeckt – mit den Überresten von Jakobus in Galizien an Land getrieben worden sein. Über die folgenden Jahrhunderte verlor sich die Spur des Grabes, bis im frühen 9. Jahrhundert eine „Leuchterscheinung“ den Einsiedler Pelayo zum Grab des Apostels führte. Am Fundort, dem „Sternenfeld“ („campus stellae“, heute Compostela) ließ der König von Asturien eine Kirche errichten.

Das kleine Königreich Asturien befand sich damals in einem verzweifelten Abwehrkampf gegen die muslimischen Invasoren aus dem Süden der Halbinsel.

Politisch bedeutete es die Rettung, die Kunde vom Fund der Überreste des ersten Jüngers Jesu in ganz Europa zu verbreiten: die Pilgerbewegung nach Compostela brachte Könige, Kirchenfürsten, Kleriker, später Millionen einfacher Menschen nach Asturien.

Nachdem der „Heilige Krieg“ um Jerusalem im Osten verloren war, rief man die Christenheit zum „Heiligen Krieg“ im Westen auf: das Grab von Jakobus durfte auf gar keinen Fall in die Hände der Mauren fallen!

Die Kreuzzugsritter (z.B. die Templer, Johanniter) waren im Osten „arbeitslos“ geworden, wurden aber in Spanien dringend gebraucht: für den Kampf gegen die Mauren, aber auch zum Schutz der Pilgerwege.

Es wurden Burgen, Klöster, Straßen, Herbergen, Siedlungen, Kirchen gebaut … der wirtschaftliche Aufschwung war enorm.

Der Jakobus-Kult hatte eine extrem wichtige Bedeutung für das räumliche, soziale und kulturelle Zusammenwachsen des heutigen Europas:

Während seiner Blütezeit zwischen 11. und 13. Jahrhundert gab es erstmals eine Massenbewegung, an der alle Schichten teilnehmen konnten: Reiche und Arme, Mächtige und Bauern, Straftäter, verschuldete Handwerker (während der Pilgerfahrt waren alle Schulden gestundet, man war von allen Abgaben und Steuern befreit) machten sich auf den Weg nach Compostela.

Man teilte sich den Weg, die Herbergen, die Kirchen … und es heißt, kein Pilger sei nach Hause zurückgekehrt, ohne eine weitere Sprache gelernt zu haben.

Genau dieser Gedanke – dass der Jakobsweg eine der Wurzeln für das heutige Europa sein könnte – hat mich glücklich gemacht, je mehr ich während des Wanderns darüber nachgedacht habe. Schließlich sind Johanne und ich glühende Anhänger der Idee der „Vereinigten Staaten von Europa“.

Und so habe ich herausgefunden, was der Camino für mich bedeutet: ein Zeugnis für das Zusammenwachsen des heutigen, modernen Europas!